Die Erweiterung der Entscheidungskompetenz des Verwalters durch Beschluss

Árpád Farkas, Anwalt für Immobilienrecht

Können dem Verwalter über § 27 (1) WEG hinausgehende Befugnisse durch einen allgemeinen Beschluss der Eigentümer übertragen werden? Wenn ja, welche Anforderungen sind an die Reichweite und an die Bestimmtheit dieses Beschlusses zu stellen? Auf diese und weitere Fragen hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 05.07.2024 (Az.: V ZR 241/23) Antworten gegeben.


Der Fall:

Im Jahr 2019 beschlossen die Eigentümer einer Wohnungseigentümergemeinschaft im Zuge einer geplanten Erneuerung von Außenfenstern, einen Sachverständigen mit der Begutachtung der Fenster und Erstellung eines Prioritätenplanes nach Dringlichkeit zu beauftragen. Nachdem der Sachverständige eine solche Prioritätenliste sowie ein Leistungsverzeichnis erstellt hatte, worin konkret spezifiziert wurde, welche Fenster in welcher Ausführung eingebaut werden sollen, beschlossen die Wohnungseigentümer im November 2021, den Sachverständigen noch mit der Erstellung der konkreten Ausschreibungsunterlagen, der Einholung von Angeboten sowie der Fertigung eines Preisspiegels zu beauftragen. In einer Versammlung vom 09.06.2022 stellte sich nach Information der Verwaltung heraus, dass mehrere Anbieter Angebote zurückgezogen hatten und die einzig verbliebene Anbieterin, die den Fensteraustausch zunächst für konkrete Preise pro Wohnung angeboten hatte, mitteilte, dass sie im Jahr 2022 weder einen Austausch vornehmen, noch eine Bestellung entgegennehmen könne. Die Preise für den Austausch seien für sie nicht mehr kalkulierbar. Infolge dieser Situation sahen sich die Wohnungseigentümer gezwungen, zur Durchführung der Fenstersanierung folgenden Beschluss zu fassen:


„Die Verwaltung wird ermächtigt, die Erneuerung der Fensteranlagen nach folgenden Maßgaben zu beauftragen: Es soll ein Austausch nach Dringlichkeit erfolgen. Vorab sollen nochmal drei Angebote eingeholt werden. Der Umfang des jährlichen Budgets für 2022 soll bei 35.000,00 € brutto liegen. Die Fenster sollen der Optik der bisherigen Fensteranlage entsprechen. (…)“.


Gegen diesen Beschluss wandten sich die Kläger, die Mitglieder der beklagten Eigentümergemeinschaft waren.


Die Entscheidung:

Während das Amtsgericht die Klage noch abwies, teilte das Berufungsgericht die Auffassung der Kläger, wonach der von den Eigentümern gefasste Beschluss nicht mehr ordnungsgemäßer Verwaltung entsprach, weil er den Ermessensspielraum überschritten habe, der den Eigentümern eingeräumt ist. Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind wesentliche Maßnahmen von den Eigentümern zu entscheiden und nicht vom Verwalter. Insbesondere wenn es mangels Bezugnahme auf einen Leistungskatalog oder auf ein Angebot an einer Festlegung einer Bezugs- oder Kostengröße fehlt, sei ein solcher Verlagerungsbeschluss auf den Verwalter inhaltlich nicht hinreichend bestimmt.


Diese Auffassung teilte der Bundesgerichtshof nicht. Er hob die Entscheidung des Berufungsgerichts auf und wies die Beschlussanfechtungsklage ab. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs war der vorliegende Beschluss mit der hierin enthaltenen Kompetenzerweiterung des Verwalters wirksam, insbesondere entsprach er den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung.


Die Begründung:

Im Wesentlichen stützte der Bundesgerichtshof seine Entscheidung auf drei Aspekte. 


Zunächst hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass in der neuen Fassung des Wohnungseigentumsrechts seit dem 01.12.2020 in § 27 (2) WEG ausdrücklich die Kompetenz der Eigentümer enthalten ist, die im Innenverhältnis zum Verwalter zu regelnde Alleinentscheidungskompetenz durch Beschluss zu erweitern. 


Sodann war der Bundesgerichtshof der Auffassung, dass ein solcher Beschluss vor allen Dingen auch dann möglich ist, wenn die Wohnungseigentümer selbst bereits die grundlegende Entscheidung über die Vornahme von Erhaltungsmaßnahmen getroffen haben und dem Verwalter nur Einzelheiten über die Ausführung der Erhaltungsmaßnahme delegiert werden. 


Zuletzt stellte der Bundesgerichtshof dann auch fest, dass, soweit die grundlegende Entscheidung bereits von den Wohnungseigentümern getroffen wurde, die Ordnungsgemäßheit des Beschlusses über eine Kompetenzverlagerung auf den Verwalter nicht voraussetzt, dass in dem Verlagerungsbeschluss zugleich ausdrücklich ein für den Verwalter verbindlicher Entscheidungsmaßstab vorgegeben wird.


Der Bundesgerichtshof arbeitete in seiner Entscheidung heraus, dass § 27 (2) WEG selbst keine inhaltlichen Anforderungen an den Beschluss stellt, der die Kompetenzen des Verwalters im Verhältnis zur Gemeinschaft der Wohnungseigentümer erweitert. Wie alle übrigen Beschlüsse auch, muss ein solcher Beschluss zunächst gemäß § 19 (1) WEG den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Insbesondere lässt das Gesetz durch das Zusammenspiel von § 27 (1) mit § 27 (2) WEG erkennen, dass es nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht, wenn der Wohnungseigentümer dem Verwalter Kompetenzen einräumt, die über das Maß von § 27 (1) WEG hinausgehen. Ganz im Gegenteil, war genau diese Stärkung des Selbstorganisationsrechts durch Delegation auf den Verwalter ein konkretes Anliegen des Gesetzgebers. Da im vorliegenden Fall der Verwalter bereits durch verschiedene Grundlagenbeschlüsse inhaltlich in seiner Entscheidungskompetenz bei der konkreten Erhaltungsmaßnahme gebunden war und er nach Auffassung des Bundesgerichtshofs darüber hinaus ohnehin durch die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung gehalten ist, sich bei mehreren sich bietenden Optionen unter Beachtung des Gebots der Wirtschaftlichkeit nach pflichtgemäßem Ermessen diejenigen Angebote zu wählen, die dem Interesse der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen gerecht werden, sah der Bundesgerichtshof keinen Verstoß gegen die Ordnungsgemäßheit der Verwaltung, selbst wenn bei der Kompetenzverlagerung dem Verwalter kein verbindlicher Entscheidungsmaßstab vorgegeben wurde.Zuletzt war es auch unschädlich, dass der angefochtene Beschluss weder auf das Leistungsverzeichnis und die Prioritätenliste des vorbefassten Sachverständigen, noch auf das Angebot des Unternehmens Bezug nahm. Denn auch insoweit galt für den Bundesgerichtshof, dass es ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, diese Unterlagen bei der Auftragsvergabe in Blick zu nehmen und nur in begründeten Fällen von den hierin getroffenen Feststellungen und Vorgaben abzuweichen.


Folgen für die Praxis:

Die Gemeinschaft kann, nunmehr ausdrücklich durch § 27 (2) WEG zugelassen, in Einzelfällen die Entscheidungskompetenzen des Verwalters im Innenverhältnis zum Teil erheblich erweitern. Wichtig ist, dass ein solcher Erweiterungsbeschluss ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen muss. Dies ist dann der Fall, wenn die grundlegende Entscheidung über das Ob der Maßnahme bei den Eigentümern verbleibt. Ein Kompetenzerweiterungsbeschluss kann auch dem Verwalter sehr weitreichende Entscheidungsbefugnisse einräumen, solange gewährleistet bleibt, dass die grundlegende Endentscheidung bereits vom Wohnungseigentümer getroffen wurde bzw. bei diesem verbleibt.



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